The Roots – undun
Zeit ist für The Roots ein kostbares Gut. Als Showband der Late Night-Show von Jimmy Fallon sind sie fünf Mal die Woche im US-TV zu sehen, finden Zeit für wöchentliche DJ-Auftritte und neben zwischendurch – Schlaf wird sowieso überbewertet – faszinierende Platten auf. „Wake Up!“, ihre im September 2010 erschienene Kollaboration mit John Legend, die sich sozialbewusster und -kritischer Soulmusik der 60er und 70er annahm, wurde mit drei Grammys ausgezeichnet. „undun“ befasst sich nun mit dem bereits zu Ende gegangenen Leben des fiktiven Redford Stephens in episodischer Rückblende.
Das Album eröffnet mit einer Flatline, mit dem Tod an sich, bevor ein Hauch von Jazz gen „Sleep“ entführt. Redford Stephens ist bereits an seinem tragischen Lebensende angekommen, realisiert sowohl Vergänglichkeit als auch vergebene Möglichkeiten, bereitet sich auf die Reise durch wichtige Stationen seines Lebens vor. Mehr und mehr erfährt man von einem „Street-Kid, das in die Kriminalität abrutscht, obwohl er ganz und gar nicht als Verbrecher auf die Welt kam“, wie Schlagzeuger ?uestlove in einem Interview anmerkt, getragen vom gewohnt schweren Bandsound, der allerdings auch betont leichtfüßig über den Boden schweben kann, beispielsweise in der Single „Make My“. Beinahe frühlingshaft verzaubernd wirkt der Song, getragen Big K.R.I.T.s unheimlich smooth gesungenem Refrain, der Redfords Hoffnungslosigkeit untermalt („Maybe I’ll throw in the towel and make my […] departure from the world“).
„One Time“ lässt sich auf die „Occupy Wall Street“-Bewegung ummünzen – „undun“ nahm erst im Oktober Form an, was die Aktualität erklärt, ohne dabei das biographische Konzept zu verlassen. Getragen von eindringlichem Piano, schieben sich Black Thought und Dauer-Gast Dice Raw die Zeilen zu, während Phontes Refrain zu den eingängigsten Momenten der Platte zählt – Momente, die man auch im fantastischen „The OtherSide“ und dem mit dezentem Mainstream-Potential ausgestatteten „Lighthouse“ vorfindet. Auch an der dramatischen Inszenierung von „Tip The Scale“ gibt es kein Vorbeikommen, gerade wenn Dice Raw die Perspektivlosigkeit des Protagonisten illustriert: „Only two ways out, digging tunnels or digging graves out“.
Tatsächlich bemerkt man die Brillanz der einzelnen Songs an sich erst nach mehreren Durchläufen, zu sehr fesseln die musikalische und inhaltliche Geschlossenheit, beispielsweise wenn Redford in „Stomp“ der Drogenkriminalität verfällt, unterstützt von einem Arrangement, das ein wenig an „Still D.R.E.“ im Band-Outfit erinnert. „Them long days in the sun, have now become shade“ heißt es in „Kool On“ – die Katastrophe der Freytag’schen Dramen-Pyramide ist bereits hier unausweichlich, unterstützt von einem feinen Sample aus „Where There’s A Will (There’s A Way)“. Den Schlusspunkt bildet diee auf vier Mini-Teile aufgesplittete „Redford Suite“, inspiriert von einem Interlude Sufjan Stevens‘ auf dessen Soloalbum „Michigan“. Sein Piano-Instrumental bildet den Ausgangspunkt, von den zarten Streichern in „Possibility“ vorangetrieben, bevor „Will To Power“ in dissonantes Chaos stürzt, bevor „Finality“ das Lebensende des Protagonisten mit erneut melancholischen Strings zum Abschluss bringt. Kurz wird es laut, dann herrscht Stille. Es ist vorbei, es ist vollbracht.
Nach knapp 39 Minuten wacht blickt man leicht verstört auf den CD-Player. War es das schon? Waren das wirklich 39 Minuten? In Windeseile fließt „undun“ vorbei, so schwer verdaulich und doch faszinierend gerade die Lyrics auch sind. Hochphilosophisch geben sich The Roots, liefern tiefe Einblicke in ein tragisches Leben, gespickt mit Querverweisen auf Ereignisse der letzten Monate. Man kann stundenlang Beifall klatschen für die fantastischen Texte, aber gerade auch die Musik an sich, die man erst nach und nach wahrnimmt, hat eine tiefe Verbeugung verdient. Smoothe Soul-Elemente und eine Prise Funk treffen auf Ecken und Kanten im HipHop-Universum, die ein wenig an die Anfangstage dieser überlebensgroßen Band erinnern. Mit „undun“ haben sich The Roots ein Denkmal geschaffen, übertreffen können sie sich zweifelsohne nur selbst. Album des Jahres. Nuff said.
VÖ: 02.12.2011
Def Jam Records (Universal Music)
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