Last Chance To Reason – Level 2
Die Herren von Last Chance To Reason als gewogen wahnsinnig zu bezeichnen, wäre wohl dezent untertrieben. Nach zwei in Eigenregie veröffentlichten Releases ist das Sextett aus dem US-Bundesstaat bei Maine bei Prosthetic Records gelandet, wo sie ihre dezent obskure, sehr modern ausgerichtete Vision von Progressive Metal weiterkultivieren werden. „Level 2“ ist nicht nur eine wahnwitzige Platte, es dient auch als Soundtrack zu einem eigenen Computerspiel, das aktuell im Netz die Runde macht.
Ähnlich faszinierend wie die Idee einer Videospiel-Umsetzung ist auch der Sound der US-Amerikaner – Progressive Metal mit Einflüssen von den Anfängen in den 70s über die Giganten Dream Theater, Frickelpäpste wie Obscura und Origin, die Space-Chaoten Between The Buried And Me und sogar Djent-Ansätze Marke TesseracT. Klingt konfus, ist es irgendwie auch. Schon mit dem programmatischen Opener „Upload Complete“ reist man durch einen Mikrokosmos mit gefühlten drölfzig Tempowechseln pro Minute, feinem Gesang, fiesen Growls, Cyberspace-Wahnwitz und rasiermesserscharfer Frickelei in Reinkultur. Struktur? Schwebt irgendwo mit, ist aber letztendlich sekundär, sobald es auf diesen betont kaputten Trip geht.
Wie Last Chance To Reason in dieser Griffbrettwichserei die Übersicht behalten, bleibt ein Rätsel. „Temp Files“ beginnt wie ein Math-Track, zeigt sich rhythmisch herrlich abgefuckt, reiht beinahe schmerzende Dissonanzen an eingängig spacigen Klargesang. Psychedelisch, verkopft und überraschend jazzig fällt hingegen die sechseinhalbminütige Tour de Force „The Linear“ aus, die vor allem in punkto Soloarbeit und Keyboard-Hexerei japanischen Kollegen einiges vormachen kann. Selbst im gerade einmal 164 Sekunden langen „The Parabolic“ verstecken sich mindesten sieben einzelne Songs, die komplett zerhackt und wild wieder zusammengesetzt wirken. Anfang und Ende lassen sich kaum erkennen, geschweige denn voneinander unterscheiden. Geht’s noch?
Auf diese Platte muss man sich erst einmal einlassen. „Level 2“ ist ein Album für Grenzgänger, Post-Prog-Fans, metallische Extremisten und Fans instrumentalen Draufgängertums. Die Kunst dabei: Ist man erst einmal dieser wahnwitzigen Klangreise verfallen, bleibt man unwillkürlich hängen. Gerade die Kombination aus klassischen Prog-Klängen und Djent’scher Moderne, der klare Gesang, die fiesen Growls, die interstellaren Ausflüge und die rauchenden Griffbretter sind mit anderen jungen Bands in keinster Weise zu vergleichen. Gespickt mit zahlreichen Videospielreferenzen und der dazugehörigen PC-tauglichen Umsetzung ist „Level 2“ ein Traum für Nerds jeden Kalibers, ein Festmahl für Querdenker.
VÖ: 27.05.2011
Prosthetic Records (Soulfood Music)
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