Eurovision Song Contest 2010: Vorschau (1)
Zwischen Tradition, Pop und Kitsch – der jährliche Musikwettstreit des Eurovision Song Contest wird auch bei seiner 55. Ausgabe den multikulturellen Spagat versuchen. Dieses Jahr in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Denn dank Alexander Rybaks „Fairytale“ darf man dort zum dritten Mal (nach 1996 und 1986) der Veranstalter sein. Wie üblich gibt es vor dem Finale zwei Semifinale, dieses Jahr mit je siebzehn Teilnehmerländern. Beatblogger hört voraus, was im ersten am 25. Mai geboten wird.
Serbien |
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Lässt man einmal außer Acht, dass Serbien einst Teil Jugoslawiens war und danach als Serbien-Montenegro antrat, so sind sie Rekordhalter: Das heißt, siegreich bei der ersten Teilnahme 2007. Nach der Nichtqualifikation im vergangenen Jahr, sollen es nun der junge Sänger Milan Stanković und sein Titel „Ove Je Balkan“ wieder besser machen. Mit Bläsern und traditionell aufgepeppten Klängen stellt er den Balkan vor. Ob ihn das weitere Europa verstehen wird?
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Finnland |
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Trotz 43 Teilnahmen tun sich die Finnen stets schwer, beim ESC groß aufzutrumpfen. Nur einmal gelang es ihnen, 2006 mit „Hard Rock Hallelujah“… Den Technoschlümpfen aus dem vergangenen Jahr war wieder nicht mehr als der letzte Platz vergönnt. Jetzt probiert man es mit Folklore und dem weiblichen Duo Kuunkuiskaajat. „Työlki Ellää“ lautet der schöne Titel. Akkordeon, Violine, zweistimmiger Gesang und Mitklatschen – damit sollte es doch etwas werden.
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Russland |
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Statistisch gesehen, gehört Russland zu den erfolgreichsten Teilnehmern. Ob es daran liegt, dass sie überwiegend auf Englisch singen? Jedenfalls abermals beim aktuellen Beitrag „Lost And Forgotten“ des Moskauer Liedermachers MKPN (russ., Musikgruppe Peter Nalitsch), der sich im nationalen Vorentscheid gegen 24 andere Kandidaten behaupten konnte. Leidenschaftlich intonierter Folk-Pop, dessen erster Eindruck, einer lockeren Jam-Session entsprungen zu sein mag, sich nicht bestätigt. Vielmehr ist es das eingängige Songwriting. Insofern würde es überraschen, wäre man mit diesem Potential nicht wieder ganz vorne mit dabei.
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Slowakei |
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Vier Teilnahmen stehen für die Mitteleuropäer zu Buche, die erfolgreichste datiert von 1996 mit Platz 18. Für 2010 fiel die Wahl auf Kristina, die mit ihrem Titel „Horehronie“ eine Region ihres Heimatlandes vorstellt. Gesanglich sauber und darstellerisch mit durchaus ansehnlichen Turneinlagen versehen – aber vielleicht hätte der Nummer etwas mehr slowakisches Spektakel gut getan.
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Bosnien und Herzegowina |
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Auch Bosnien und Herzegowina sind noch auf der Suche nach dem Durchbruch beim ESC. Selbst vielversprechende Beiträgen, wie dem letztjährigen „Bistra Voda“, war dieser nicht vergönnt. Nun tritt man mit dem Sänger Vukašin Brajić und dessen rockig getragenem „Munja I Grom“ an. Übersetzt heißt das ’Blitz und Donner’, kommt diesem Titel allerdings eher lyrisch nach als musikalisch. Die Qualifikation sollte dennoch nur Formsache sein.
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Lettland |
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Im elften Jahr der Teilnahme Lettlands lässt sich resümieren: keine Facette ist mehr fremd. Unter anderem das Siegesgefühl 2002, eine Klatsche im Jahr darauf und nach mäßigem Abschneiden die Nicht-Qualifikation zuletzt. Dieses Jahr soll es Aisha richten. Ihr Song „What For? (Only Mr. God Knows Why)“ ist eine leicht folklorische Schunkel-Klatsch-Nummer. Und während (wirklich!) ein paar Waschweiber die Szene unterhalten, mag der schlussendlich brillierende Gesangsauftritt Aishas eben erst spät überzeugen.
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Moldawien |
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Fünf Teilnahmen, vier Qualifikationen – Moldawien schlägt sich achtbar. Dazu hat man offenbar gut aufgepasst, wie die Norweger gewonnen haben. Denn der diesjährige Beitrag „Run Away“ von Sun Stroke Project & Olia Tira beginnt mit einem Violinensolo. Anschließend flackert allerdings das Discolicht und eine tanzbare Uptempo-Nummer will animieren. Sängerin Tira, die übrigens in Potsdam das Licht der Welt erblickte, gibt mit ihrem Gesangspartner ein fruchtbares Duett ab. Auch das eingespielte Saxophon sitzt. Es lebe die bunte Eurovision-Welt!
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Estland |
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Nach fünf Jahren des Scheiterns an der Halbfinalhürde konnte Estland 2009 mit Urban Symphony und Rang sechs ein erfolgreiches Comeback verzeichnen. Dieses Jahr tritt die Band Malcolm Lincoln für das nördlichste Land des Baltikums an. Ihr Titel „Siren“ ist elektrolastiger Pop, dabei beileibe kein trivialer ESC-Titel. Der hellklare Gesang von Robin Juhkental braucht eine kurze Eingewöhnung. Anschließend fällt es unter musikalisch wertvoll; hoffentlich nicht zu schnell durch den Rost?
Griechenland |
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Europa hat auf sich warten lassen. Denn erst seitdem Elena Paparizous Siegersong „My Number One“ 2005 den Thron erklomm, ist Griechenland stets ein heißer Top-10-Kandidat. Auch dieses Jahr, in dem man mit Giorgos Alkaios einen gestandenen Musiker nach Oslo schickt. Von ihm stammt im Übrigen das Stück „Opa Opa“, ja auch kein unbekanntes. Zusammen mit ein paar weiteren Sängern singt er „Opa!“, ganz in der bekannten rhythmischen Machart der Griechen. (Nein, kein Sirtaki.) Man weiß ja inzwischen, wie es geht.
Island |
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Nach Norwegen war Island 2009 der zweite Sieger. Yohannas herzergreifende Ballade „Is it True?“ avancierte so zum bisher erfolgreichsten Abschneiden der Inselstaatler. Mit Hera Björk treten sie nun mit einer Sängerin an, die bereits in den beiden vergangenen Jahren eine Backgroundstimme gesungen hatte. Ihr „Je Ne Sais Quoi“ ist ein typischer Titel für den ESC, irgendwie gefällig, aber wenig auffällig. Dieses Jahr wird es wohl keine nationale Bestmarke geben.
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Portugal |
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Gemessen an seinen 43 Teilnahmen mit dem besten Ergebnis eines sechsten Platzes, ist Portugal wirklich nicht zu bejubeln. Vielleicht ist es die Treue zu sich selbst, zum Gesang auf Portugiesisch, der am Rest Europas weitestgehend vorbeihuscht. So auch das diesjährige „Há Dias Assim“. Mit der jungen Sängerin Filipa Azevedo hat man eigentlich beste Chancen aufs Finale. Balladeskes Arrangement, prominentes Piano und die kontinuierliche Steigerung bis ins finale Solo – eine Wucht, die Portugal weit nach vorne bringen wird. (Vielleicht.)
Hörprobe „Há Dias Assim“ einblenden
Weißrussland |
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Auch Weißrusslands bestes Ergebnis war ein sechster Rang. Das allerdings bei nur eben so vielen Teilnahmen, von denen es nur die erwähnte bis ins Finale schaffte. Und nicht genug der Zahlen. Dieses Mal tritt man an mit der Formation 3+2. Ihr „Butterflies“ ist ein getragener Popsong, durch Klavierklänge untermalt, mit mehrstimmigem Gesang und durchaus überlegt. Stimmlich etwas selbstbewusster – und das Finale wäre gebongt. So wird’s ein zähes Ringen oder Singen.
Hörprobe „Butterflies“ einblenden
Belgien |
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Seit der allerersten Austragung dieses Wettbewerbs 1956 ist Belgien mit dabei. Ein Sieg steht dabei acht letzten Plätzen sowie zuletzt fünf Nicht-Qualifikationen für das Finale gegenüber. Jenes ist 2010 fest eingeplant – mit einer Art belgischem Pete-Doherty-Double. Tom Dice, der zumindest national durch das dortige X-Factor-Casting bekannt wurde, tritt an mit „Me And My Guitar“. Und so tritt er auch auf. Solo. Lagerfeuer-Romantik. Doch es ist die große Eurovisionbühne mit dem Hauch von „Ein bisschen Frieden“. Ein sympathischer Auftritt, den man auf der Rechnung haben darf.
Hörprobe „Me And My Guitar“ einblenden
Polen |
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Polens Abschneiden bei einem Finale bedeutete meistens eine zweistellige Platzierung. Auch die Semifinale waren nie ein Selbstläufer. So scheint es noch ein weiter Weg zur Legende, den man dieses Jahr mit Marcin Mrozińskis „Legenda“ besingt. Der ehemalige Castingshow-Teilnehmer Mroziński ist Opern-Tenor, wird von klassisch bis poppigen Klängen untermalt und liefert eine ordentliche Gesangsleistung ab. Vom schmalzigen Unterton mal abgesehen, will der Funke dennoch nicht richtig überspringen. Vermutlich bleibt es bei einem Auftritt in Oslo.
Albanien |
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Kurz gesagt ’unauffällig’ blieb Albanien bei seinen bisherigen ESC Auftritten. Ins Blickfeld rücken möchte man dieses Jahr mit Juliana Pasha und ihrem Titel „Nuk Mundem Pa Ty“. Trotz mancher Plagiatsvorwürfe, dieses klänge „Keeps Gettin’ Better“ von Christina Aguilera ähnlich, gibt Pashas Sopran einen guten Eindruck ab. Streiten mag man eher über das billig anmutende Plastik-Pop-Playback und darüber, was das inszenierte Orchester beim Vorentscheid vermitteln sollte.
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Malta |
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22 Teilnahmen und zwei zweite Plätze als bestes Ergebnis – Malta konnte vereinzelte richtig gut punkten. Dieses Jahr liegen die Hoffnungen auf der jungen Sängerin Thea Garrett, die mit „My Dream“ auch Maltas Vorliebe für Balladen treu bleibt. Behutsam erbaut und perfekt zugeschnitten, wird man damit das erste Halbfinale aufleben lassen. Nicht zuletzt dank eines geflügelten Darstellers im Hintergrund. Garretts malerische Stimme lässt alles weitere offen.
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Mazedonien |
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Das gesicherte Mittelfeld war bis dato Mazedoniens Spielraum; egal, ob im Halbfinale oder Finale. Nach zuletzt zwei Jahren, wo schon im erstgenannten Endstation war, probiert man es nun mit dem gestandenen Rock-Pop-Sänger Gjoko Taneski. Er singt „Jas Ja Imam Silata“, einen Song über die eigene Stärke, mit eingesprungenem Rapper und offensiver Bühnenpräsenz. Zumindest vom Ansatz her adäquat, um die Ehemalige jugoslawische Republik endlich aus ihrem Trott zu bekommen.
Hörprobe „Jas Ja Imam Silata“ einblenden
Nächste Woche folgt Vorschau (2) auf die Beiträge des zweiten Semifinales zum Eurovision Song Contest 2010 in Oslo.