Kommentar: Die Buße des Bauernopfers
In den USA sorgt ein Gerichtsurteil für Zündstoff: Eine Frau, die über die Filesharing-Software KaZaa 24 Musiktitel verfügbar gemacht hat, wurde von einem amerikanischen Gericht zu einer Zahlung von umgerechnet 1,4 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. Eine bewusst inszenierte Zurschaustellung mittels einer öffentlichen Hinrichtung, mit der die Musikindustrie gnadenlos an einer vierfachen Mutter ein Exempel statuiert. Ein Verfahren, das wieder einmal die pure Verzweiflung einer maroden Industrie aufzeigt. Einer Maschinerie, die es verpasst hat, rechtzeitig modernisierende Maßnahmen zu ergreifen (man könnte auch sagen: mit der Zeit zu gehen) und der im Überlebenskampf jedwedes Mittel rechtens zu sein scheint.
Nur um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Natürlich hat diese Frau eine Straftat begangen für die sie bestraft werden muss, das steht außer Frage. Ob aus Unwissenheit oder aus dem Irrglaube heraus, dass es ja „sowieso jeder tut“, sei dabei sekundär. Nichtsdestotrotz hat sie schlichtweg auch viel Pech gehabt. Das Pech, dass aus dem Gros der Illegalen ausgerechnet ihre IP zwecks Vollzug herausgepickt wurde. Sie büßt damit stellvertretend für eine ganze Generation.
Aber warum musste es überhaupt soweit kommen, dass Raubkopieren von Musik im digitalen Zeitalter zu einem Volkshobby geworden ist? Natürlich kann man sich auf die Position stellen und sagen: Sobald es etwas kostenlos gibt, wird es auch konsumiert. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn nach wie vor gibt es noch viele Musikkäufer, die im Plattenladen oder neuerdings auch auf Downloadportalen legal Musik konsumieren. Nichtsdestotrotz sind die Verkaufszahlen, bis auf wenige Top-Acts, stetig zurückgegangen.
Ein Problem für den Rückgang ist das illegale Angebot respektive die damit entstandende niedrige Hemmschwelle – was mehrere Gründe hat. Die Technikaffinität ist einer davon, MP3 hat es als eine der wohl wichtigsten Erfindungen aller Zeiten im Musikbereich geschafft, sich als DER Standard überhaupt zu etablieren. MP3 ist klein, einfach und modern. Viel zu spät hat die Industrie auf dieses Format und seine Möglichkeiten reagiert. Wobei wir bei Punkt Nummer zwei wären: als es dann soweit war und MP3 den Siegeszug antrat, hat man den Konsum der neuen digitalen Musik mittels DRM, schlechter Verfügbarkeit, Überteuerung und anderer, teils technischer, Hürden gehemmt. Eine Strategie, die den modernen Musikliebhaber nachhaltig vergrätzt und somit möglicherweise auch ein Stück weit in die Illegalität getrieben hat.
Darüber hinaus hat sich auch der Konsum von Musik verändert, Musik ist inzwischen verwoben in das tägliche Leben. Man träge man im Zuge der Mobilität keine CDs mehr durch die Gegend – der Großteil der Musik ist heuer digital, man möchte Musik im MP3-Player, im Handy, im Internet oder auf dem PC hören, egal wo, hauptsche mobil. Diese Möglichkeit, seine Lieblingsmusik überall genießen zu können, wurde ebenfalls bisher seitens der Industrie nach Kräften blockiert. Instrumentalisierte Kopierschutz-Reglementierungen, Formatwahn und altbackene Geschäftsmodelle haben auch hier dazu geführt, dass sich die potenziellen Konsumenten alternative Möglichkeiten gesucht haben.
Erst langsam scheint der Groschen innerhalb der Industrie zu fallen. Augenscheinlich werden nun Flatratemodelle bei digitaler Musik, Befreiung von Kopierschutz und so genannte soziale Musikdienste (wie z.B. Last.fm, YouTube etc) ein Thema, mit dem sich die Industrie ernsthaft befasst. Trotz allem muss sich noch einiges mehr ändern, damit das Gleichgewicht zwischen Konsument und Produzent wieder hergestellt wird. Dafür wäre es vor allem hilfreich, wenn die Industrie ihre Geschäftsmodelle endlich an die Forderungen der Käufer anpassen würde und dem Konsument nicht noch mehr Steine in den Weg gelegt werden, die ihm an genießen seiner Musik hindern.
Somit schließt sich der Kreis zum heueren Gerichtsurteil. Es muss endlich Schluss damit sein, dass Bauernopfer für eine ganze digitale Bewegung herhalten müssen und die Bürde, die große Masse belehren zu wollen, auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Gewiss, man sollte die Illegalität bekämpfen – aber dafür müssen in erster Linie die Drahtzieher und Musikpiraten verfolgt werden. Und eben nicht Frau Lieschen Müller von nebenan.