Gazpacho – Tick Tock
Langsam aber sicher entwickeln sich Gazpacho zu Experten für Konzeptalben. Die sechs Norweger haben sich auf ihren bisherigen vier Alben mannigfaltigen Geschichten und einem Sound zwischen Muse, Rush und Marillion verschrieben, einer besonders eingängigen Prog-Rock-Spielart. Ihre neue Platte „Tick Tock“ ist ein Konzeptalbum über den Roman „Wind, Sand und Sterne“ von Antoine de Saint-Exupéry („Der kleine Prinz“) – ein Klassiker der Literaturwelt, geprägt von rasenden und extremen Gefühlen und Stimmungswechseln.
In diesem Buch schreibt de Saint-Exupéry den Versuch seines Rekordfluges von Paris nach Saigon (heute: Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam) nieder, der beinahe tödlich endete. Begeistert und euphorisch fliegt der Franzose über die weite Sahara („Desert Flight“), beobachtet den Wechsel und Tag zu Nacht. Dann die Katastrophe, mitten in der Wüste der Absturz. Nun beginnt ein Fußmarsch über Sand und Dünen („The Walk“). Jede Fata Morgana weckt Hoffnung und Euphorie, gleichzeitig mischt sich aber Verzweiflung und Todesangst in das emotionale Portfolio ob jeder Enttäuschung. de Saint-Exupéry scheint verloren, seine Zeit läuft langsam aber sicher ab („Tick Tock“). Dem Tode nahe stößt er auf eine Beduinenkarawane und verarbeitet Rettung, Abschied aus einer unwirklichen Welt und Rückkehr in die Arme und Rückkehr in die Arme seiner Frau („Winter Is Never“).
Musikalisch bewegt sich „Tick Tock“ – wie bereits erwähnt – grob gesehen zwischen Muse (Jan-Henrik Ohmes Gesang erinnert immer wieder an einen gewissen Matthew Bellamy), Rush und Marillion. „Desert Flight“ rockt empathisch, setzt mit Keyboard-Einsatz einen herrlich gigantomanischen Gegenpol und mündet schließlich in deutlich akustischere Gefilde. Für den Fußmarsch bleibt die Instrumentierung zurückhaltend, lässt den Protagonisten auf sein Leben, seine Wünsche und seine Hoffnungen reflektieren. Dann der Titeltrack, ein Meer an Extremen – de Saint-Exupéry ist dem Tod nahe – von beinahe metallischen Riffwänden hin zu Elektro-Einflüssen. Der balladeske Einfluss der Reunion mit seiner Frau wird von großen Gefühlen und mystischen Ansätzen begleitet – eine deutliche Muse-Hommage.
Es ist verdammt schwer, eine komplexe Erzählung – gerade emotionale Irrfahrten beinhalten die Gefahr für die Musiker, zu einer handwerklichen Irrfahrt zu mutieren – nicht nur zu Papier zu bringen, sondern auch noch aufregend, fesselnd und kreativ in Songs zu packen. Das ist Gazpacho mit „Tick Tock“ auf jeden Fall gelungen. Prog Rock, eine mitreißende Achterbahnfahrt durch Himmel und Hölle zwischen malerischen Klangwelten und Stakkato-artiger Verzweiflung. Großes Kino aus Norwegen.
VÖ: 27.03.2009
HWT Records (Sony BMG)
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