Krautrock remastered

Gerne wirft man mit Begriffen um sich, ohne davon auch nur die geringste Ahnung zu haben. „Krautrock“ wurde in den letzten Jahren beinahe inflationär für eigenwillige Alben verwendet, ohne dabei auch nur ansatzweise auf den Ursprung der Stilrichtung zu reflektieren. Unter Krautrock lassen sich westdeutsche Bands der späten 60er und frühen 70er Jahre zusammenfassen, die vor allem die Liebe zu experimentellen, progressiven und psychedelischen Jams bzw. Improvisationen vereinte.

Der Begriff geht vermutlich auf den legendären britischen Radio-DJ John Peel zurück, der sich von einem Songtitel Amon Düüls („Mama Düül und ihre Sauerkrautband“) inspirieren ließ. Bands wie eben jene Amon Düül (in beiden Auflagen), Neu!, Tangerine Dream, Can und die frühen Kraftwerk erlangten internationale Bekanntheit und werden auch heute noch von zahlreichen zeitgenössischen Rock-, Metal-, Electro- und Experimental-Bands als wichtige Referenzen genannt.

Revisited Records, Inside Out und SPV wagen einen weiteren Rückblick auf diese bewegte Zeit. Acht Krautrock-Alben sind ab sofort remastered, mit neuen Liner Notes und teils auch Bonusmaterial erhältlich – ein weiterer Teil dieser langen Serie.

Ohne Zweifel zählen Frumpy zu den wichtigsten Figuren des Krautrock. Hervorgegangen aus der Folk-Band The City Preachers (u.a. mit einem jungen Udo Lindenberg am Schlagzeug), gründeten Deutschlands wohl beste Rocksängerin Inga Rumpf, Keyboarder Jean-Jacques Kravetz, Schlagzeuger Carsten Bohn und Bassist Karl-Heinz Schrott die Band. Beim ersten Album „All Will Be Changed“ 1970 kam man ohne Gitarre auf, quälte dafür die Hammond-Orgel bis zum Äußersten. Neun live im Studio eingespielte Tracks (hier mit zwei Bonus-Nummern) hielten sich weitest gehend im Bereich konventioneller Songlängen ein, waren vor allem Showcase für Rumpfs Röhre und Tastenflitzer Kravetz.

Auch remastert wurde das lange vergessene „Frumpy 2“. Hier wagten Frumpy den Sprung in deutlich progressivere Gefilde und nahmen Rainer Baumann als Gitarristen auf, wohl einer der besten seiner Zunft. Vier Songs zwischen sieben und zwölf Minuten lassen sich mehr und mehr als Endlos-Jams verstehen, in denen Rumpf zwar deutlich weniger Arbeit verrichtete, ihren Parts dafür umso mehr Nachdruck und Energie verlieh. Die Instrumentalisten durften sich austoben auf diesem Prog-Meisterwerk.

Bei Grobschnitt ging es nicht nur um die Musik, sondern vor allem um Performance-Art. Die Mischung aus Rock und Theater-Performances – hier spielten auch die Roadies eine wichtige Rolle – ließen auch angesichts der erstmaligen Verwendung von Pyrotechnik bei Konzerten die Songs ein wenig in den Hintergrund rücken. Das zweite Grobschnitt-Album „Ballermann“ sollte man daher möglichst ohne Konzert-Erlebnis im Hinterkopf genießen. Die Band befand sich im Umbruch ohne den zweiten Schlagzeuger Felix. Das gab einerseits Mit-Drummer Eroc mehr Möglichkeit zum Austoben – der selbst gesungene Opener „Sahara“ ist freilich Geschmackssache – ließ aber auch mehr Platz für die Hammond-Orgel, gegen die Sänger Willi Wildschwein mit Leidenschaft ankämpfte. Großes Highlight ist das zweiteilige „Solar Music“, ein monströser Jam von über 33 Minuten mit ungeahnten Kniffen und Wendungen.

Angesprochener Eroc darf hier natürlich nicht fehlen. Er präsentiert das Best-Of-Album „Wolkenreise“, natürlich mit dem gleichnamigen Singlehit (Platz 32 in Deutschland) und verträumter, beinahe romantischer Instrumentalmusik. Natürlich ein Ausreißer, für Komplettisten aber nicht uninteressant.

Bis heute noch aktiv, wenn auch mit Pausen und in stark wechselnder Besetzung, sind Jane. Ihre frühen Alben wurden bereits neu aufgelegt, bekommen nun aber eine Art Zusammenfassung in „Live At Home“. Das in der Hannoveraner’schen Niedersachsenhalle aufgenommene Dokument zeigt vier Musiker in Bestform. Gerade das erstmals präsentierte „Windows“ – ein Jam von über 19 Minuten – beeindruckt, ist stimmig und faszinierend, während „Another Way“ Black Sabbath zu zitieren scheint. Als Bonusmaterial das 77er Konzert aus dem WDR Funkhaus – kompakt und mächtig.

Agitation Free bemühen sich um deutlich elektronischere Ansätze. Die hier präsentierten Alben zeigen allerdings die Band kurz vor ihrem vorzeitigen Ende. „Live ’74 (At The Cliffs Of River Rhine)“ ist eine bewusstseinserweiternde Erfahrung. Wo genau die Herrschaften hinwollen, ist nicht klar. Schwerer wird es mit ihrem Abschlussalbum „Last“, dem totalen Zusammenbrach. Schizophrene Keyboardflächen treffen auf Endlosschleifen-Jams, am besten kondensiert im Bonustrack „Schwingspule“. Hier ist Musik wieder Mathematik pur.

Hinter dem Pseudonym Fritz Müller versteckt sich Eberhard Kranemann, Teil der Anfangszeiten von Kraftwerk und Neu!. Auf „Fritz Müller Rock“ zeigt er sich als Kämpfer zweier Welten. Zugleich fasst er Krautrock zusammen und bereitet den Weg für die einsetzende Neue Deutsche Welle. Gezeichnet von Punk und Ton Steine Scherben lärmt und klagt er – mit Sicherheit die eigenwilligste Veröffentlichung dieser Reihe.

Interessierten ist der Backkatalog von Revisited Records ans Herz gelegt, u.a. mit Alben von Jane, Atlantis, Guru Guru, Faust und Epitaph. More to come.

VÖ: 21.11.2009
Revisited Records (SPV)
Agitation Free „Last“ @ Amazon | Agitation Free „Live ’74“ @ Amazon | Eroc „Wolkenreise“ @ Amazon | Frumpy „All Will Be Changed“ @ Amazon | Frumpy „Frumpy 2“ @ Amazon | Grobschnitt „Ballemann“ @ Amazon | Jane „Live At Home“ @ Amazon

Agitation Free – Egypt

Eroc – Wolkenreise

Frumpy – How The Gypsy Was Born

Grobschnitt – Solar Music

Jane – Another Way