Guns N‘ Roses – Chinese Democracy
Der längste Treppenwitz der Musikgeschichte findet ein Ende. Worüber sollen Journalisten noch scherzen, wenn Axl Rose sein Egomanen-Unternehmen Guns N‘ Roses nun tatsächlich in die Läden bringt? Nach 14 Jahren Entstehungszeit, Aufnahmekosten im zweistelligen Millionen-Dollar-Bereich, sowie zahlreichen verschlissenen Studios und Musikern erscheint „Chinese Democracy“ doch. Dr. Pepper wird fluchen, die Musikwelt hingegen wird sich spalten.
So viel sei vorneweg verraten, „Chinese Democracy“ kann natürlich nicht die Versprechen halten, die die wilde Entstehungsgeschichte möglicherweise gibt. Man muss sich von der Vergangenheit um „Appetite For Destruction“ und „Use Your Illusion“ frei machen, um diesem Monster überhaupt eine Chance geben zu können. Alleine das wird wohl vielen Fans verdammt schwer fallen – verständlicherweise.
2008 rocken Guns N‘ Roses mehr denn je. Der Opener „Chinese Democracy“ ist relativ einfach gehalten. Ob Axl Rose über China oder doch den beschwerlichen Weg hin zur neuen Platte singt, bleibt offen. Die echten Hits folgen kurz darauf. Guitar-Hero-Veteran „Shackler’s Revenge“ beginnt mit ordentlich Noise, baut eine tanzbare Brücke ein und manövriert den Refrain auf die offene Straße. Arme in die Luft, das ist Hard Rock. Noch ein ausgeflipptes Bumblefoot-Solo dran, schon ist alles in Butter. Als zukünftige Single eignet sich „Better“ bestens. Von beinahe poppigen, geradezu radiotauglichen Breaks über elektronische Elemente hin zu treibenden Gitarren ist hier alles dabei. Sogar Buckethead taucht auf, darf rund um den harmonischen Hauptteil shreddern.
Natürlich dürfen auch die Balladen nicht fehlen. In „Street Of Dreams“ lässt Axl endlich wieder seine typischen Vocal-Presswehen aufmarschieren. Dizzy Reed – neben Rose der einzige Überlebende der „Use Your Illusion“-Ära – hat sich bei seinem Piano-Part offensichtlich von Elton John inspirieren lassen. Überhaupt fällt besonders hier ein gewisser Bombast auf, den vor allem auch „Madagascar“ trägt – seit Jahren ein Livestandard. Streicher und Keys berühren, während ein Blick in das Booklet Gigantismus pur offenbart. Einen Credit für „Initial arrangement suggestions“ hat es zuvor wohl noch nie gegeben. Die Samples zweiter Reden von Martin Luther King, Jr.-Reden gemeinsam mit Szenen aus „Braveheart“ und „Casualties Of War“ sind zwar künstlerisch wertvoll, brechen aber eher mit dem Fluss dieses durchaus berührenden Songs.
„There Was A Time“ könnte man demnächst in einem opulenten Video sehen. Nicht nur, dass gleich fünf (!) Personen am „Drum arrangement“ beteiligt waren, die Power-Ballade erinnert am ehesten an den Bombast von „Use Your Illusion“. Über beinahe sieben Minuten schwingt sich der Mörder dieses Albums auf, baut sogar ein falsches Ende ein und lässt einen Chor auftreten. Sein kleiner Bruder „Sorry“ ist die unterkühlte, bluesige Ausgabe mit beinahe maschineller Herangehensweise. Für Rose ungewöhnlich schroff und spartanisch, mit einem Sebastian Bach als Background-Sänger aber auf jeden Fall eine Erwähnung wert.
Die übrigen Albumtracks gehen in Ordnung. „If The World“ ist eine Art Industrial-Ballade mit Spanish Guitar, „Catcher In The Rye“ ein Midtempo-Verweis an das Frühwerk von Guns N‘ Roses und „I.R.S.“ der obligatorische dramatische Rocksong. Weder maschineller Cock-Rock („Scraped“) darf fehlen, ebenso wenig eine übertrieben schmalzige Piano-Ballade („This I Love“). Mit „Riad N‘ The Bedouins“ gibt es einen launigen Rocker inklusive technokratischer Samples. Das plakativ betitelte „Prostitute“ hingegen klingt in der ersten Hälfte wie ein weiterer großer Popsong, startet dafür aber mit einem grandiosen Buckethead-Solo den Ritt in Richtung Sonnenuntergang. Eine gute Entscheidung von Axl Rose, diesen KFC-Mann nicht herauszuschneiden.
Hat sich das Warten auf „Chinese Democracy“ also gelohnt? Wenn man Musik in der großen Alben „Appetite For Destruction“ und zwei Mal „Use Your Illusion“ erwartet – mit Sicherheit nicht. Rechtfertigt die Platte die lange Wartezeit? Hell no! Vielmehr hat Axl Rose ein durchaus modernes, opulentes, abwechslungsreiches und dynamisches Spätwerk zusammengestellt, das zwar unter dem Namen Guns N‘ Roses läuft, mit der bisherigen Idee dieser Band aber nur noch bedingt zu tun hat.
Vergisst man die Vergangenheit, erhält man ein gutes bis sehr gutes Rockalbum, das in der Liga der Großen 2008 (AC/DC, Metallica) durchaus mithalten kann.Einzig wird dieses „Vergessen“ vielen Fans nicht gelingen. Prognose: Gute Verkäufe, starke Polarisierung, gefeierte Konzerte (sobald Axl Rose wiederkommt). Der Weg von „Chinese Democracy“ ist interessant. Vor allem reicht ein Durchlauf lange nicht. Die zahlreichen Details – hierfür ein großes Lob an Axl Rose, muss ja auch sein – erschließen sich erst nach dem fünften, sechsten Durchlauf so richtig. Hoffentlich bleibt es nicht das letzte Album.
VÖ: 22.11.2008
Geffen Records (Universal Music)
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